Kurze Gedankensplitter zum Deutschen Buchpreis 2017
Die alljährliche Verleihung des Deutschen Buchpreises auf der Frankfurter Buchmesse steht bevor und obwohl ich persönlich dieser Tatsache an und für sich keine größere Bedeutung beimesse, habe ich mich auch in diesem Jahr wieder in ein paar Titel der Longlist vertieft. Wenn man über Bücher schreibt, sollte man zumindest ein wenig informiert sein. Zwei der Bücher davon haben es nun auch auf die Shortlist geschafft und sind somit Preisanwärter. Um es kurz zu machen: ich habe BEIDE Titel nicht zu Ende gelesen, es war mir schlichtweg nicht möglich.
Schauen wir aber zunächst mal auf die Intention zum deutschen Buchpreis, der Webauftritt offeriert Folgendes:
Ziel des Preises ist es, über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autoren, das Lesen und das Leitmedium Buch.
Eine klare, gut verständliche Ansage mit einem nicht minder löblichen Ziel: das Bekanntmachen deutscher, zeitgenössischer Literatur für eine breite internationale Leserschaft. Zum wiederholten Male frage ich mich aber: wie soll DIESES Ziel mit DIESER Titelauswahl gelingen? [Ganz davon abgesehen, dass ich bis zum heutigen Tage nicht verstanden habe, wer die Jury aus welchem Grund auswählt.]
Kommen wir zu Thomas Lehrs “Schlafende Sonne”. Dieses Buch beginnt mit folgendem Satz:
„Dein Stern, Jonas, nähert sich als fahles Licht, das in die Straßen fällt wie Staub aus einer anderen Welt. Dort liegt es nun mit sich verstärkendem Glanz. Bald wird etwas sichtbar werden, in der Mitte der Stadt. Das Ereignis (aber auch deine kleinen Schweinereien!). Die von obskuren Handzetteln versprochene Offenbarung. Ankündigung der Göttin der Kernfusion, die es mit atomaren Lichtblitzen an den Tag bringt.“
Und obwohl mich hier bereits Loriots Dichter Frohwein mit einem fröhlichen “krawehl, krawehl” aus dem Hinterhalt anspringt, habe ich tapfer weiter gelesen. Ganze 50 Seiten (die ebenso begeisternd waren wie der erste Satz) und ich habe meine Meinung zu selbigen dem Verlag hier mitgeteilt. Was sicher nicht weiter wichtig ist, mich treibt aber in Bezug zum Buchpreis nach wie vor noch die Frage um: wie zum Geier übersetzt man derartige Sprachkonstrukte in andere Sprachen , um damit eine BREITE Leserschaft für deutsche Literatur zu begeistern? Ich meine: das ist doch schon in Deutsch irgendwie komplett sinnbefreit. Oder nein, sagen wir es anders: der Sinn erschließt sich nur einer elitären Leserschaft, denn irgendwer wird dieses Buch ja auf die Shortlist gehievt haben. Die elitäre Leserschaft ist aber nicht DER Leser, den der Buchhändler erreichen möchte, das “Lesevolk” sozusagen. Der deutsche Buchhändler klagte bereits in den vergangenen Jahren über die mangelnden Verkaufserlöse der jeweiligen vom Feuilleton bejubelten Preisträger.
Der zweite Titel, den ich mir zu Gemüte geführt habe, war der, auf den ich mich aufgrund des realen historischen Themas besonders gefreut habe: das wäre anders gewesen, hätte ich mich im Vorfeld bereits mit dem Autor befasst. Franzobel ist ebenso wie Lehr als ein Autor mit dem ganz besonderen Kreativpotential bekannt und genau selbiges stellt er in “Das Floß der Medusa” eindrücklich unter Beweis. Ich habe mich widerstrebend mit dem derzeit hochmodernen Verzicht der Kennzeichnung von wörtlicher Rede abgefunden und hätte auch dem seltsamen Switchen zwischen Roman- und Sachbuchform durchaus eine Chance eingeräumt. Leider hat der Autor dem Leser gegenüber eine derart gönnerhafte Einstellung, dass der auktoriale Erzähler ihn exzessiv Zeilen schindend schwafelnd darauf hinweist, was an der Geschichte nun wichtig oder unwichtig ist, wie er sich zu fühlen oder etwas wahrzunehmen hat. Beispiele aus den ersten 9 (!!!) Ebookseiten:
“Niemand ahnte, was das bedeutete. Am wenigsten wir, doch wir werden es bald erfahren.”
“Was hatten die erlebt? Wir wissen es noch nicht, aber gemach, wir werden es bald erfahren.”
“Der Kapitän, selbst nur eine Randfigur in unserer Geschichte…”
“Und Parnajon (der Kapitän), wir können seinen Namen bald wieder vergessen, sah noch etwas…”
Damit vermittelt der Autor dem Leser permanent das Gefühl, er wäre zu blöd zum Lesen, zu intellektuell unterbelichtet, seine geistigen Ergüsse richtig zu werten. Darüber hinaus habe ich die Vergleiche von historischen Figuren mit Prominenten der Neuzeit irgendwie seltsam empfunden (Alain Delon? Was soll das?) . Und nachdem Franzobel es dann auch noch schaffte, sämtliche, ja wirklich ALLE Charaktere durch gewollte sprachgewaltige Überzeichnung (fachlich heißt das wohl: “Barocke Sprachgewalt”) in alle nur erdenklichen Klischee-Schubladen zu packen, die ausschließlich negativ sind, war auch dieses Buch für mich eine herbe Enttäuschung, das ich nicht zu Ende gelesen habe, nicht zu Ende lesen KONNTE. Sicher ambitioniert geschrieben, aber von Allem zu viel des Guten -die zumeist sperrigen Metaphern erschlagen einen förmlich- und nicht wirklich bereichernd zu lesen.
Ich denke, der Durchschnittsleser -und da spreche ich nicht vom anspruchsvollen, intellektuellen Feuilletonbegeisterten!- möchte, so, wie das schon immer gewesen ist, eine Geschichte erzählt bekommen oder in eine vom Autor vermittelte Welt oder Stimmung abtauchen, in der er sich temporär wohlfühlt. Ein nationaler Buchpreis sollte sich am Leseverhalten dieser Leute orientieren, was letztendlich auch dem Buchhändler nützen würde. Genau das aber sehe ich beim deutschen Buchpreis seit Jahren nicht mehr. Und möchte mit einem allseits bekannten Kritiker sagen: “Ich nehme diesen Prrrreis nicht an!”
Wen die Titel trotzdem interessieren, der findet hier die Long- und Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2017, allen Anderen sei ein regelmäßiger Blick auf die Listen des Man Booker Prize empfohlen, das ist wirklich lohnend und viele Titel erscheinen nach nicht allzu langer Zeit auch in deutscher Sprache. Für mich ist das Thema “Deutscher Buchpreis” nach mehrjähriger Beschäftigung/Beobachtung endgültig durch. Gute zeitgenössische, deutsche Literatur findet man abseits von mainstream-Hypes und Buchpreisen. Und letztendlich haben wir immer noch die deutschen Klassiker, die uns in großer Breite mit dem Projekt Gutenberg sogar kostenfrei zur Verfügung stehen. Man muss den deutschen Literaturbetrieb der Jetztzeit nicht verstehen, man kann ihn auch einfach links liegen lassen.
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